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Scams aus Südostasien

Ende Mai 2025 war ich zu Besuch auf der re:publica in Berlin, Europas größter und wichtigster gesellschaftspolitischer Digitalkonferenz. Ein Vortrag der dreitägigen Konferenz beschäftigte sich im Themenbereich „Politik & Gesellschaft“ mit den sog. Scam-Fabriken in Myanmar an der Grenze zu Thailand. Speaker waren die beiden Investigativ-Journalisten Khesrau Behroz und Sören Musyal, die eine Recherchereise für eine am 10. Juli 2025 erschienene Folge des ARD/RBB-Podcast „Legion“ gemacht haben: „House of Scam: Café China View“.

(Linktipps befinden sich am Ende des Blogbeitrags.)

Wie Menschenhändler in Asien durch moderne Sklaverei Milliarden erbeuten

In Myanmar entstehen seit Jahren Industrieparks, die immer mehr zu Städten heranwachsen. Städte, in denen moderner Sklavenhandel betrieben wird. Denn hier werden Menschen gehalten, die den ganzen Tag nichts Anderes machen, als ihre Opfer auf der anderen Seite der Welt um Milliarden zu betrügen.

Die Investigativjournalisten Khesrau Behroz und Sören Musyal zeigen in ihrem Vortrag, wie großangelegter Menschenhandel und moderne Sklaverei in Südostasien florieren – besonders in sogenannten „Cyber-Scam-Zentren“. Ihr Ziel ist es, die verdeckten Strukturen aufzudecken und das Schweigen um diese milliardenschwere Schattenwirtschaft zu durchbrechen.

Love Scams im Vergleich zu Pig Butchering Scams

Love Scams basieren auf der Vortäuschung romantischen Interesses auf Dating-Plattformen, um Vertrauen bei den Opfern aufzubauen. Sobald eine emotionale Bindung besteht, werden erfundene Notfälle inszeniert, um Geld zu erbitten. Die Opfer verlieren dabei nicht nur finanzielle Mittel, sondern erleiden auch erheblichen emotionalen Schaden.

Pig Butchering Scams hingegen sind wesentlich raffinierter und können sich über Monate hinziehen. Der Name leitet sich von der Vorgehensweise ab, bei der die Betrüger ihre Opfer als „Schweine“ bezeichnen. Diese Masche läuft in zwei Hauptphasen ab:

  1. Mästen des Schweins: In dieser Phase bauen die Betrüger zunächst eine Beziehung zum Opfer auf, die nicht immer romantischer Natur sein muss. Anschließend werden gefälschte Investitionsmöglichkeiten, oft im Bereich Kryptowährungen, vorgestellt. Anfänglich sehen die Opfer oft kleine, scheinbar legitime Renditen, um sie zu weiteren Investitionen zu ermutigen.
  2. Schlachten: Sobald die Opfer große Summen investiert haben, werden erfundene Gebühren oder Steuern eingefordert, um das angeblich verdiente Geld abheben zu können. Häufig nehmen die Opfer Kredite auf, um diese Forderungen zu erfüllen. Sobald nichts mehr zu holen ist, wird der Kontakt abrupt abgebrochen.

Ursprünge, Globalisierung und die Rolle der Pandemie

Die Wurzeln dieser Betrugsformen liegen in der Bekämpfung des illegalen Online-Glücksspiels in China um das Jahr 2006. Dies führte dazu, dass viele kriminelle Operationen in südostasiatische Länder wie Myanmar, Kambodscha, Laos und die Philippinen verlagert wurden. Die Sättigung des Online-Glücksspielmarktes um 2016 zwang die Täter, neue, betrügerische Taktiken zu entwickeln, um an neue „Kunden“ zu gelangen.

Die COVID-19-Pandemie wirkte als Katalysator und beschleunigte die Verlagerung von Online-Glücksspiel zu Online-Betrügereien sowie deren Globalisierung. Grenzschließungen in China, die Rückführung eigener Bürger und das Verbot von Kryptowährungen führten bei den kriminellen Gruppen zu einem Arbeitskräftemangel und einer stärkeren Ausrichtung auf nicht-chinesische Opfer.

Cyber-Scam-Zentren: Zwangsarbeit für Betrug

Tausende Menschen werden aus Ländern wie Bangladesch, Vietnam oder Thailand verschleppt, oft unter falschen Jobversprechen. In speziell eingerichteten Industrieparks – häufig in Myanmar oder Kambodscha – werden sie unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten und unter ständiger Überwachung gezwungen, Online-Betrugsmaschen durchzuführen. Diese „Scammer“ sind selbst Opfer: Sie agieren unter physischer und psychischer Gewalt, einschließlich Folter, Freiheitsentzug und unzureichender Gesundheitsversorgung. Diese „Scammer“ sind selbst Opfer von Menschenhandel und Zwangsarbeit und haben keine Möglichkeit, aus dieser ausweglosen Situation zu fliehen. Die Betrugsoperationen sind oft hochorganisiert und werden von kriminellen Syndikaten gesteuert, die eng mit korrupten lokalen Behörden zusammenarbeiten.

Menschenhandel und Zwangsarbeit in „Scam Factories“

Der Arbeitskräftemangel während der Pandemie führte zu einer alarmierenden Entwicklung: Diese „Betrugsfabriken“ sind heute auf Menschenhandel und Zwangsarbeit angewiesen. Besonders in Südostasien, allen voran in Myanmar, sind zahlreiche solcher Fabriken entstanden. Der anhaltende Bürgerkrieg und die Machtvakuums in den Grenzregionen Myanmars schaffen ein ideales Umfeld für organisierte Kriminalität, einschließlich dieser Betrugsringe.

Scam-Factories in Myanmar. Screenshot einer Google Maps-Karte, die im Vortrag gezeigt wurde.
Scam-Factories in Myanmar. Screenshot einer Google Maps-Karte, die im Vortrag gezeigt wurde.

Menschen werden oft mit verlockenden, aber gefälschten Stellenangeboten angelockt, häufig unter dem Vorwand, in Thailand zu arbeiten. Von dort werden sie, oft unwissentlich, über die Grenze nach Myanmar verschleppt. Dort angekommen, werden sie gezwungen, gefälschte Verträge zu unterzeichnen und unter menschenunwürdigen Bedingungen in den Anlagen zu arbeiten. Die dortigen Zustände sind geprägt von psychischer und physischer Gewalt, einschließlich Folter, Freiheitsentzug, unzureichender Gesundheitsversorgung und sogar Todesfällen. Es wird geschätzt, dass allein in Myanmar über 100.000 Menschen gefangen gehalten werden, weltweit sind es wohl etwa 300.000, hauptsächlich aus Ländern des Globalen Südens.

KK-Park: the place you don’t want to be

Ein Zentrum dieser skrupellosen Machenschaften ist KK Park – ein Komplex von Betrugsfabriken in Myanmar, nahe der Grenze zu Thailand am Moei River. Dieser Komplex ist mit ca. 20.000 Gefangenen das bedeutendste und bekannteste Zentrum für Cyberkriminalität, Internetbetrug und verschiedene Formen von Investitionsbetrug. Dazu gehören auch sogenannte „Pig Butchering Scams“, bei der Opfer (meist aus den westlichen Industriestaaten) durch vorgetäuschte romantische Beziehungen oder Investitionsmöglichkeiten um ihr Geld gebracht werden.

Scam-Fabriken wie der KK Park sind gut organisierte und stark gesicherte Einrichtungen, die speziell für Betrug und Ausbeutung eingerichtet sind. Sie bestehen aus zahlreichen Gebäuden, die als Arbeits- und Wohnstätten für die Opfer dienen und oft von hohen Mauern und Zäunen umgeben sind. Diese Einrichtungen verfügen über umfangreiche Überwachungssysteme und sind mit Computern ausgestattet, um Betrugsoperationen durchzuführen. Bewaffnete Wachen und Sicherheitskräfte sind vor Ort, um die Opfer einzuschüchtern und Fluchtversuche zu verhindern. Die Infrastruktur ermöglicht es den Betreibern, ihre kriminellen Aktivitäten effizient durchzuführen und gleichzeitig die Kontrolle über die Opfer zu behalten, die unter unmenschlichen Bedingungen leben.

Profiteure und internationale Verflechtungen

Behroz und Musyal zeigen, wie groß der finanzielle Umfang dieser kriminellen Aktivitäten ist – mit geschätzten Milliardenumsätzen. Nicht nur lokale Banden, sondern auch internationale Netzwerke, private Unternehmen und korrupte Behörden sind Teil des Systems. Die Lieferkette des Betrugs reicht bis in westliche Finanzsysteme und Tech-Plattformen. Westliche Finanzsysteme bieten oft die Infrastruktur, die für den Transfer und die Verwahrung von Geldern aus solchen kriminellen Aktivitäten genutzt wird. Dies kann Banken, Kryptowährungsbörsen und andere Finanzdienstleister umfassen, die möglicherweise unwissentlich oder aufgrund unzureichender Sorgfaltsprüfungen in diese Machenschaften verwickelt werden. Technologieplattformen, insbesondere soziale Medien und Online-Dating-Websites, spielen ebenfalls eine zentrale Rolle, da sie den Betrügern als Mittel dienen, um potenzielle Opfer zu kontaktieren und Beziehungen aufzubauen. Diese Plattformen sind oft nicht in der Lage, alle betrügerischen Aktivitäten zu erkennen und zu verhindern, was die Bekämpfung solcher Betrugsmaschen zusätzlich erschwert.

Finanzielle Auswirkungen und globale Bedrohung

Das Ausmaß dieser Betrugssyndikate ist immens: Sie generieren jährlich schätzungsweise 18 bis 36 Milliarden US-Dollar, wobei manche Schätzungen sogar bis zu 64 Milliarden US-Dollar reichen. In Deutschland beläuft sich der seit 2021 entstandene Schaden auf mehrere zehn Millionen Euro, mit einem durchschnittlichen Verlust von 80.000 Euro pro Opfer. Angesichts dieser Zahlen hat Interpol diese Betrugsform als „neue globale Bedrohung“ und als weltweite Menschenhandelskrise eingestuft.

In Deutschland gibt es täglich neue Opfer, die oft ihre gesamten Ersparnisse verlieren, nachdem sie über einen längeren Zeitraum eine vertrauensvolle Beziehung zu den Betrügern aufgebaut haben. Neben den finanziellen Verlusten leiden die Opfer auch unter erheblichen psychologischen Belastungen. Die Zentralstelle Cybercrime Bayern hat seit 2021 bereits über 370 Fälle registriert, was auf eine starke Verbreitung dieser Betrugsmasche hinweist. Viele der Betrugsfabriken befinden sich in Südostasien und sind Teil internationaler krimineller Netzwerke, was die Bekämpfung erschwert. Deutsche Behörden arbeiten daran, diese Betrugsform zu bekämpfen und die Öffentlichkeit durch Aufklärungsprogramme zu sensibilisieren. Jede/-r Internet-Nutzer/-in muss, wachsam sein und sich über die Methoden der Betrüger zu informieren, um sich selbst und andere zu schützen. Insgesamt stellt der „Pig Butchering Scam“ eine erhebliche Bedrohung für die finanzielle und emotionale Sicherheit der Menschen in Deutschland und anderen Ländern der industrialisierten Welt dar.

Politisches Versagen und internationale Verantwortung

Ein zentrales Thema: Die Untätigkeit vieler Staaten. Trotz Warnungen internationaler Organisationen gibt es kaum Strafverfolgung oder Schutzprogramme. Der Vortrag fordert mehr Verantwortung – von Regierungen, Unternehmen und auch Konsument/-innen, die indirekt vom System profitieren.

Was tun bei Verdacht?

Im Video geben Behroz und Musyal auch Ratschläge für den Umgang mit potenziellen Betrugsversuchen. Sie empfehlen, bei Erhalt einer verdächtigen Nachricht eine vorgefertigte Antwort parat zu haben, die den Absender auf NGOs hinweist, die Opfern von Betrugsfabriken helfen. Dies könne möglicherweise dazu führen, dass der Absender von den Betrügern „schwarzgelistet“ wird und gleichzeitig Opfern hilft, die möglicherweise gezwungen sind, solche Nachrichten zu versenden. Es sei entscheidend, Betroffene an Experten und spezialisierte NGOs wie Global Advance Projects oder Global Arms zu verweisen, da diese über die notwendigen Strukturen und Kontakte für Rettungsaktionen verfügen.

Fazit

Moderne Sklaverei existiert nicht nur in dunklen Ecken – sie ist systematisch, organisiert und global verflochten. Um sie zu bekämpfen, braucht es Aufklärung, politische Konsequenz, ein Umdenken in der globalen Wirtschaft und ein Engagement von NGOs.

In der einstündigen Video-Aufzeichnung, in der die beiden Referenten Einblicke in die Strukturen und Mechanismen dieser kriminellen Netzwerke geben, zeigen sie auch hochinteressantes Bild- und Videomaterial, das sie erstellt haben und welches ihnen zugestellt wurde. Die eine Stunde (ca. 45 Vortrag + ca. 15 Minuten Q&A) lohnt es sich wirklich in Ruhe anzuschauen:

Linktipps:

Von Ralf Simon

... arbeitet beim katholischen Hilfswerk 'missio', ist Social-Media-affin, reist gerne mit der Bahn und ist viel rund um Aachen mit dem Fahrrad unterwegs. Zudem schlägt sein musikalisches Herz für die Kölner Band NiedeckensBAP.

3 Antworten auf „Scams aus Südostasien“

Wie das Fachmagazin t3n berichtet, geht der Konzern Meta (Facebook, Instagram) auf seiner Plattform WhatsApp nun gegen Scammer vor. Einerseits seien 6,8 Millionen WhatsApp-Konten gelöscht worden, anderseits werde an neuen Funktionen gearbeitet. Ob und wann die Änderungen auch hier in Deutschland greifen, ist zurzeit noch unbekannt: „Wann Meta die neuen WhatsaApp-Funktionen in Deutschland verfügbar macht, ist derzeit nicht bekannt.“

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